Spätestens im März werden im Europäischen Parlament die offiziellen Beratungen über das Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie ("Anti-Counterfeiting Trade Agreement", kurz: ACTA) beginnen. Als Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel spricht sich Bernd Lange dafür aus, ACTA genau unter die Lupe zu nehmen, bevor das Europäische Parlament über das Abkommen entscheidet.

Was ist ACTA?

Das Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (Anti-Counterfeiting Trade Agreement; kurz: ACTA) ist ein zwischenstaatlicher Vertrag zwischen der EU und den USA, Australien, Kanada, Japan, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, Südkorea sowie der Schweiz. Das ACTA-Abkommen soll geistiges Eigentum und Online-Inhalte besser schützen. Auch der Kampf gegen kommerzielle Produkt- und Markenpiraterie bei Gütern, Musik und Filmen soll durch das neue Abkommen verbessert werden. ACTA ist hingegen nicht dazu gedacht, Urheberrechte oder Markenrechte neu zu definieren – es geht vielmehr darum, diese Rechte besser durchzusetzen. Festgeschrieben sind diese Rechte international bisher im TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums), das von der Welthandelsorganisation WTO ausgehandelt wurde. Alle EU-Staaten haben dieses Abkommen unterzeichnet. Die Notwendigkeit, geistiges Eigentum und Innovationen international und gerade auch in der EU zu schützen und Produktpiraterie zu bekämpfen ist unumstritten.

Wie ist der Stand des Verfahrens?

Am 26. Januar 2012 haben 22 EU-Regierungen sowie Vertreter der Europäischen Kommission das ACTA-Abkommen unterschrieben. Die Unterschrift der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten (Zypern, Estland, Deutschland, Niederlande, Slowakei) wird in den nächsten Wochen erwartet. Das ACTA-Abkommen kann allerdings - wie alle Handelsabkommen der EU - erst nach einer Zustimmung des Europäischen Parlaments in Kraft treten. Das Parlament kann allerdings nicht den Text des Abkommens verändern, es kann nur "Ja" oder "Nein" sagen.
Das Europäische Parlament wird nun die Verhandlungen aufnehmen. Die erste Orientierungsdebatte zu ACTA findet in der Sitzung des federführenden Ausschusses für Internationalen Handel (INTA) am 29. Februar/1.März 2012 statt. Vier weitere Ausschüsse des Europäischen Parlaments - Entwicklung, Industrie, Recht und der Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres – werden eine Stellungnahme abgeben.
Wann ACTA im Plenum des Europäischen Parlaments zur Abstimmung steht, ist noch nicht abzusehen. Es gibt auch keine Frist für eine Entscheidung des EP. Das Europäische Parlament und insbesondere die Sozialdemokraten werden das Abkommen sehr sorgfältig prüfen. Da das Abkommen rechtliche Fragen aufwirft, kann das EP z.B. auf Anfrage eines Ausschusses den Europäischen Gerichtshof anrufen, damit dieser die Vereinbarkeit von ACTA mit EU-Recht prüft. Diesen Weg will die S&D-Fraktion gehen. Bis der Gerichtshof entscheidet, kann die parlamentarische Debatte ausgesetzt werden. Das EP hat auch die Möglichkeit, in einem sogenannten Zwischenbericht vor einer endgültigen Entscheidung noch zusätzliche Anforderungen zu formulieren.

Welche Kritikpunkte gibt es?

In der öffentlichen Debatte um das ACTA-Abkommen werden nicht immer Sachverhalte thematisiert, die sich im Text wiederfinden. Auch werden manchmal Sachverhalte aus früheren Verhandlungsstadien aufgegriffen, die nicht mehr aktuell sind.
Allerdings ist völlig klar, dass Regelungen gegen Produkt- und Markenpiraterie nicht dazu führen dürfen, dass Grundrechte eingeschränkt werden oder der Datenschutz aufgeweicht wird. Bereits im Verlauf der Verhandlungen wurden durch den Druck des Europäischen Parlaments wichtige sozialdemokratische Forderungen im ACTA-Text aufgenommen. So wurde das Ansinnen der USA abgewehrt, Internetprovider dazu zu verpflichten, Internetangebote einzuschränken oder Internetnutzern den Netzzugang zu sperren. Außerdem wurden Patente vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen. Dadurch wurde verhindert, dass Generika pauschal mit Fälschungen gleichgestellt werden. Gleichzeitig bleibt ein preiswerter und lebenswichtiger Zugang zu Medikamenten, vor allem in Entwicklungsländern, erhalten.
Zentral ist für uns, dass das ACTA-Abkommen bestehendes EU-Recht nicht verletzt oder darüber hinausgeht. Grundrechte und europäische Standards der Freizügigkeit und des Datenschutzes müssen auch in Zukunft unangetastet bleiben. Zudem muss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung garantiert werden.
Umstritten ist insbesondere, welche Rolle Internet-Service-Provider beim Herunterladen von Musik, Literatur, Theaterstücken und anderen geschützten Werken zu spielen haben. Der Umgang mit Urheberrechtsverletzungen soll laut ACTA u.a. durch private Abkommen zwischen Rechteinhabern und Providern geregelt werden. Hier stellt sich die Frage, ob damit die Freiheit der Übermittlung von Inhalten nicht unzulässig eingeschränkt wird. Ein Internet-Service-Provider sollte Inhalte transportieren und nicht bewerten. Sobald illegale Inhalte im Internet auftauchen, ist es überall auf der Welt möglich, diese Inhalte innerhalb weniger Stunden zu löschen (Prinzip "Löschen statt Sperren"). Ebenso muss das geplante ACTA-Komitee, das mit der Durchführung des Abkommens beauftragt werden soll, transparent arbeiten und darf nicht ohne parlamentarische Kontrolle das Abkommen abändern dürfen. Nicht zuletzt darf es bei der Anwendung des Abkommens keinen Interpretationsspielraum geben, durch den diese geltenden Werte im Nachhinein unterlaufen werden könnten.

Wie steht es um die Transparenz?

Offenheit und Transparenz müssen auch in internationalen Verhandlungen gelten. Deswegen war das Bestreben einiger außereuropäischen ACTA-Verhandlungspartner auf Geheimhaltung der Verhandlungen skandalös. Nur durch massiven Druck des Europäischen Parlaments sah sich die EU-Kommission zu mehr Offenheit genötigt. Der vorgeschlagene Text des ACTA-Abkommens ist nun auf der Webseite der Europäischen Kommission über den folgenden Link zu finden:
http://ec.europa.eu/trade/creating-opportunities/trade-topics/intellectual-property/anti-counterfeiting/

Ebenfalls online ist eine Studie über ACTA, die für das EU-Parlament erstellt wurde:
http://www.europarl.europa.eu/committees/en/INTA/studiesdownload.html?languageDocument=EN&file=43731

Die Debatten des federführenden INTA-Ausschusses werden live im Internet übertragen. Am 1. März 2012 wird im INTA-Ausschuss ein öffentliches Hearing zu ACTA stattfinden, an dem jeder teilnehmen kann. EU-Handelskommissar De Gucht wird auch anwesend sein. Das Europäische Parlament wird das Thema offen, transparent und demokratisch bearbeiten.

Was passiert, wenn das Abkommen vom Europäischen Parlament abgelehnt wird?

Wenn das Europäische Parlament das Abkommen mehrheitlich ablehnt, ist der Prozess vorbei und das Abkommen ist gescheitert. Es können gegebenenfalls neue Verhandlungen beginnen. Für ein neues Abkommen müsste dann eine neue Initiative gestartet werden, vom ersten Vorschlag der Kommission bis hin zu einem Verhandlungsmandat durch den Ministerrat mit anschließenden internationalen Verhandlungen, Unterzeichnung und Ratifizierungsprozess.

Bisher hat das EU-Parlament zwei internationale Abkommen abgelehnt: SWIFT (Weitergabe vertraulicher EU-Finanzdaten an US-Behörden) und das Fischereiabkommen mit Marokko.

Mehr Informationen: