2011 Finanzierungssalden

Quelle: Nds. Städtetag

Die Kassen- bzw. Liquiditätskredite sind dabei explodiert: Waren sie Ende der 1980er Jahre nahezu unbekannt, so belaufen sie sich mittlerweile auf nahezu 5 Mrd. Euro – und werden sich in den nächsten fünf Jahren mehr als verdoppeln! Da diese Kredite eigentlich nur der kurzfristigen Liquiditätssicherung dienen („Dispo-Kredit der Kommunen“) wird deutlich, wie unterfinanziert die niedersächsischen Kommunen sind, eine Entwicklung, die der Staatsgerichtshof bereits im Jahre 2008 als rechtswidrig bezeichnete: „Ein ständiger Einsatz neuer Kassenkredite ohne echte Rückzahlungs¬perspektive stellt […] einen Formenmissbrauch dar.“ (StGH v. 27. 2. 2008 – StGB 2/05).

Hauptproblem der Kommunen sind dabei die explodierenden Soziallasten: Die Nettobelastung der Kommunen für diesen Ausgabenblock hat sich seit 1992 nahezu verdoppelt. Die Kommunen dienen als Reserveposition für Haushaltsentlastungen in den Sozialetats von Bund und Land. Sie werden so zum Lastesel und zur Restgröße des Sozialstaats, weil die Sozialhilfe finanziert durch die Kommunen, als permanen¬ter Ausfallbürge in allen Fällen einspringen muss, in denen die so genannten vorgelagerten Sicherungssysteme wie SGB II, Rente oder Pflegeversicherung nicht anwendbar oder nicht auskömmlich finanziert sind.

Parallel zu dieser Belastung steigen nicht nur die Haushaltsdefizite, sondern es sinken auch die kommunalen Investitionen: Von ca. 2,7 Mrd. Euro im Jahr 1992 sanken sie auf 1,5 Mrd. Euro 2007!

Die allermeisten Versuche, die kommunale Finanzlage auf Bundesebene zu verbes¬sern, sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten gescheitert. Lediglich im Rahmen der großen Koalition kam es zu einer Stärkung der Gewerbesteuer, die dazu beigetragen hat, 2008 eine leichte Besserung der Lage herbeizuführen.

Die von der CDU/FDP-Regierung beschlossene Gemeindefinanzkommission scheint ebenfalls zu scheitern: Angetreten, um die Gemeindefinanzen, unter Einschluss einer Reform oder Abschaffung der Gewerbesteuer, zu stärken, ist sie inzwischen dazu verkommen, zur Gesichtswahrung irgendwelche Änderungen an der Gewerbesteuer herbeizuführen, weil inzwischen klar ist, dass diese wichtigste Kommunalsteuer nicht abgeschafft werden kann, ohne entweder die Bürger, die Bundeskasse oder die Kommunen zu belasten.

Auch der Versuch, Leistungsstandards einzuschränken und so die Ausgabenseite der Kommunen zu verbessern, wird scheitern: Die Sozialleistungen sind entweder politisch gewollt oder aber nach der Rechtsprechung des BVerfG grundgesetzlich gewährleistet – und in vielen Fällen auch unzureichend. Auf die berühmten Haken¬abstände in den Kindergärten kommt es da – finanziell betrachtet – auch nicht mehr an.

Umso dringender stellt sich die Frage, wie denn die niedersächsischen Städte, Gemeinden und Samtgemeinden sowie ihre Landkreise lebensfähig erhalten werden können, denn es ist das Land, das die Verantwortung für seine Kommunen trägt – verfassungsrechtlich und politisch, auch bei der Mitwirkung im Bundesrat.

Zum einen wird es darum gehen, die weitere Dynamik der Sozialausgaben einzubremsen. Jede neue Sozialleistung muss von der Ebene vollständig finanziert werden, die sie einführen will. Das gilt sowohl im Bereich des Arbeitslosengeldes mit seinen Nebenleistungen wie für die Pflegeleistungen wie für alles andere. Keine Landesregierung darf Gesetzen im Bundesrat zustimmen, die rechtlich oder faktisch die Last für die Kommunen erhöhen. So wird etwa die sinnvolle Einführung von Ein-Bett-Zimmern in Pflegeheimen dazu führen, dass die Sozialhilfeleistungen steigen werden, weil die Pflegeversicherung schon den heutigen Standard nicht vollständig abdeckt. Sie darf daher nur beschlossen werden, wenn der Bund die Lasten entweder aus seinem Haushalt oder durch eine drastische Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung übernimmt.

Dabei verspricht die Einigung im Hartz IV-Streit jetzt auch Erleichterungen für die Städte, Gemeinden und Landkreise: Der Bund übernimmt die Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbslosigkeit. Das ist systemgerecht, weil es eben nicht mehr darum geht, einige wenige „Dorfarme“ zu versorgen, sondern – siehe oben – dazu, die nicht ausreichende Alterssicherung aufzufangen; das aber ist ein gesamtstaatliches Problem von erheblicher Bedeutung und Dynamik: Allein in Niedersachsen werden die Leistungen voraussichtlich von 460 Mio. € 2010 auf 764 Mio. € im Jahre 2018 wachsen! Das die Kommunen hiervon entlastet werden, ist ein großer Fortschritt.

Die Grundsätze der Konnexität müssen auch im Verhältnis des Bundes zu den Kommunen angewandt werden, wie auch die Verfassungsvorschrift in Niedersachsen strikt gewahrt werden muss. Langfristig ist anzustreben, diesen Grundsatz auch auf die Entwicklung bereits bestehender Aufgaben auszudehnen.

Bei den Kommunalsteuern bleibt die besondere Bedeutung der Gewerbesteuer. Sie ist nach wie vor die wichtigste Steuer der Gemeinden und stellt ein gutes Sechstel ihrer Einnahmen. Nach der Abschaffung der Lohnsummensteuer in den 1970er und der Gewerbekapitalsteuer in den 1990er Jahren, muss sie nun gestärkt werden durch die von den kommunalen Spitzenverbänden seit langem einmütig geforderte Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen, die Einbindung aller wirtschaftlich Tätigen. Dadurch würde die Gewerbesteuer als Realsteuer gestärkt und die Steuervermeidung innerhalb von Konzernen erschwert. Die systemwidrige Begünstigung der sog. Selbständigen freien Berufe muss beendet werden. Es ist absurd, dass ein Zahntechniker Gewerbesteuer zahlt, ein Zahnarzt mit eigenem Labor aber nicht.

Der kommunale Anteil an der Einkommenssteuer hat sich bewährt, weil er als Element mit Ausgleichswirkung die Finanzierung der staatlichen Aufgaben in den Kommunen sicherstellt. Eine gemeindliches Hebesatzrecht wird von den kommunalen Spitzenverbänden zu Recht abgelehnt: Es würde die Stadt-Umland-Problematik schon für mittlere Städte verschärfen und im Umland der großen Städte zu heftigen Verzerrungen zwischen bevorzugten Wohnstandorten und sog. Arbeitervororten führen: Die Verlagerung des Wohnsitzes hinein in steuergünstige Villenvororte wäre leicht zu vollziehen und noch leichter zu fingieren.

Die seit Jahren verschobene und verschleppte Reform der Grundsteuer muss endlich in Angriff genommen werden. Diese Steuer stützt sich auf Bemessungsgrundlagen, die seit fast 50 Jahren nicht mehr aktualisiert wurden (Einheitswerte von 1964)! Inzwischen hält auch der Bundesfinanzhof diese Situation für verfassungswidrig. Eine modernisierte Bemessungsgrundlage würde diese stabil wachsende Steuer für die Kommunen absichern. Entsprechende Vorschläge sind seit langem auf Länderebene ausgearbeitet und bedürfen dringend der politischen Einigung und Umsetzung.

Aber auch darüber hinaus kann kommunale Selbstverwaltung nur funktionieren, wenn Räte und Kreistage auch etwas zu entscheiden haben, d. h. die Haushalte Reserven für politische Gestaltung bieten. Daher müssen die Landesverfassungen um eine Schutzbestimmung ergänzt werden, die den Kommunen eine finanzielle Mindestausstattung sichert, die es möglich macht, auch freiwillig gestaltete Aufgaben wahrzunehmen. Dies gewinnt vor dem Hintergrund der ab 2020 für das Land geltenden Schuldenbremse besondere Bedeutung: Wenn das Land keine Kredite mehr aufnehmen darf, gleichwohl aber politisch gestalten will, liegt der erneute Griff in die kommunalen Kassen sonst zu nahe.

In den kommenden Landtagswahlkämpfen müssen alle Parteien darauf achten, keine Versprechungen zu machen, die letztlich nur auf Kosten der Kommunen finan¬ziert werden können. Der Rücken des Lastesels droht sonst endgültig zu brechen.

Heiger Scholz ist Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages e. V.

Niedersächsischer Städtetag e.V.